

Women on Farms Project
Hört auf, tödliches Dormex zu produzieren
25.06.2025
Ein Interview mit Kara Mackay, Kampagnenkoordinatorin bei Women on Farms Project, Stellenbosch, Südafrika
Wie sieht die landwirtschaftliche Praxis in Südafrika konkret aus, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Pestiziden?
Kara Mackay: Die Landwirtschaft in Südafrika hat tiefe koloniale Wurzeln, tiefe Wurzeln der Apartheid, und das macht sie sehr ungleich strukturiert. Bis zu 70 % des Landes in Südafrika sind immer noch im Besitz von weißen afrikanischen Männern. Landwirtschaft ist industriell, arbeitsintensiv und exportorientiert. Und der Schlüssel zum Funktionieren dieses ganzen Paradigmas sind Pestizide. Sie kontrollieren die Ernte und schaffen vorhersehbare Realitäten, die Gewinne und Einnahmen bringen. Die Landwirtschaft in diesem Land ist schädlich für die Umwelt. Sie ist schädlich für die Menschen, die auf dem Land arbeiten. Für die Unternehmen und die Landwirte bringt sie Einnahmen und Gewinne. Aber alle anderen, einschließlich der Verbraucher*innen, werden nicht bedacht, denn auch sie nehmen diese Pestizide auf.
Welche Pestizide werden denn hauptsächlich verwendet?
Kara Mackay: Das ist eine sehr gute Frage, und sie ist sehr schwer zu beantworten, weil es in Südafrika derzeit kein öffentliches Register über die verwendeten Pestizide gibt. Wenn man wissen will, welche Produkte verwendet werden, muss man Mitglied bei Crop Life South Africa werden, der Pestizid-Lobby. Man muss also Mitglied sein, einen Beitrag zahlen und die Mitgliedschaft überprüfen lassen. Das ist ein Teil des Kampfes. Wir stellen fest, dass die Landarbeiter* innen einen gesetzlichen Anspruch auf Informationen und Schulungen haben, aber die verwendeten Pestizide werden streng geheim gehalten. Bei unseren eigenen Nachforschungen fanden wir jedoch heraus, dass der Name Dormex sowohl bei Tafeltrauben als auch bei Keltertrauben immer wieder genannt wurde.
Welche Folgen kann die Belastung durch hochgefährliche Pestizide wie beispielsweise Dormex für Frauen und Männer in der Feldarbeit haben, und wie wirken sich diese auf ihr Leben sowie auf das ihrer Familien und Gemeinschaften aus?
Kara Mackay: Man muss zunächst einmal verstehen, dass alles eng miteinander verwoben ist. In Bezug auf Pestizide ist der erste Punkt die Gesundheit. Die Gesundheit der Arbeiter*innen wird sich verschlechtern und ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Wenn sie nicht arbeiten können, können sie kein Einkommen erzielen. In Südafrika sind Beschäftigung und Wohnen auf Farmen miteinander verbunden. Wenn man nicht mehr für die Farm arbeiten kann, hat man keinen rechtlichen Anspruch mehr auf das Farmhaus. In einem Fall wurde eine Frau zusammen mit ihrem krebskranken und sterbenden Ehemann aus ihrem Farmhaus vertrieben. Anfangs wehrte sie sich dagegen, doch als ihre Tochter die Schule abbrechen musste, um auf der Farm zu arbeiten und Geld zu verdienen, gab sie schließlich auf und zog weg. Zum Glück konnte ihre Tochter später wieder zur Schule gehen. Sie ist nun im letzten Schuljahr und gibt sich große Mühe, es erfolgreich abzuschließen. Trotzdem hat dieses Ereignis ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt und ihre Zukunft erschüttert. Pestizide verschlechtern die Lebensqualität in allen Bereichen. Das beginnt bei der Gesundheit und endet in ihrem Fall damit, dass ihre Tochter die Schule abbrechen muss.
Viele hochgefährliche Pestizide, die von EUBehörden als gefährlich eingestuft wurden - zum Beispiel als krebserregend - und daher in Europa bereits verboten sind, werden nach wie vor exportiert und in Südafrika eingesetzt. Was unternimmt das WFP dagegen?
Kara Mackay: Wir fordern ein Ende der Doppelmoral. Wir machen auf die Situation aufmerksam und üben an allen Fronten Druck aus, vor allem auf unsere Regierung, denn es ist das Landwirtschaftsministerium, das diese Pestizide zulässt. Wenn sie Dormex nicht zulassen würden, dann gäbe es all die Auswirkungen von Dormex im Land nicht. Es geht uns aber auch um die europäischen Unternehmen, die diese Pestizide herstellen. Auf drei Ebenen üben wir Druck aus: auf unsere Regierung, auf die deutsche Regierung über die Botschaft und auf die Unternehmen.
Warum sind diese Pestizide deiner Meinung nach nicht auch in Südafrika verboten?
Kara Mackay: Ich denke, es hat viel mit den Einnahmen und dem Gewinn zu tun. Wie ich schon sagte, sichert es die Ernte. Das garantiert den Landwirten ihren Gewinn. Und das wiederum bedeutet für das Landwirtschaftsministerium Einnahmen für den Fiskus. Und dann sind da noch die Gewinne, die die Pestizidfirmen machen. Es wird geschätzt, dass sie etwa 53 Milliarden Euro wert sind. Das ist hochprofitabel, und ein großer Teil dieses Gewinns geht nach Europa. Die Pestizidunternehmen wissen, dass es in Südafrika und in den Ländern des Globalen Südens keinen Regulierungsrahmen gibt, dass wir nicht über die Tests, die Bewertungen und die strengen Verfahren verfügen, die Europa hat. Sie haben einen neuen Markt für ihr Produkt gefunden. Es ist ganz einfach so, dass sie Produkte und Chemikalien abladen, die in Europa nicht mehr zugelassen sind.
Die südafrikanische Regierung hat sich verpflichtet, 67 hochgefährliche Pestizide bis 2024 zu verbieten. Kannst Du uns mehr darüber erzählen? Wie kam es zu diesem Umdenken?
Kara Mackay: Leider ist es letztes Jahr so gekommen, dass die Regierung die Pestizide, die sie verbieten wollte, nicht verboten hat, sondern aufgelistet hat, und dann den Pestizidunternehmen eine Ausnahmeregelung zugestanden hat. Sie können also unter bestimmten Umständen eine Ausnahmegenehmigung beantragen und das Mittel für eine begrenzte Zeit weiterverwenden. Das war das erste Zugeständnis, das sie gemacht haben, und dann gibt es eine so genannte Neuklassifizierungsstrategie. Viele Pestizide sind nachweislich krebserregend. Aber es gibt Pestizidhersteller, die die Einstufung von „bewiesen“ auf „mutmaßlich“ umstellen. Wir müssen auf sehr vielen Ebenen kämpfen. Aber ich würde sagen, dass das Women on Farms Project dieses Thema auf die nationale Agenda gebracht hat. Zuvor hat niemand wirklich über Chemikalien und Pestizide in der Landwirtschaft gesprochen. Ich denke, der erste Schritt besteht darin, den Landarbeiter*innen bewusst zu machen, dass diese Pestizide tödlich sind.
Dormex mit dem Wirkstoff Cyanamid wird vom deutschen Chemieunternehmen Alzchem hergestellt und exportiert, obwohl es in Europa bereits seit 2008 verboten ist. Anfang Mai fand die jährliche Aktionärsversammlung in Bayern statt. Auch das Women on Farms Project war dort vertreten. Mit welchem Appell?
Kara Mackay: Cyanamid ist der wichtigste Wirkstoff, den die südafrikanischen Landarbeiterinnen verbannt haben wollen, weil er ihr Leben stark beeinträchtigt. Sie sind mit dem Produkt und seinen gesundheitlichen Folgen sehr vertraut. Daher nahmen wir am 8. Mai in Zusammenarbeit mit dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, PAN Germany und Inkota an der Jahreshauptversammlung teil und überbrachten diese Botschaft an Alzchem: Beenden Sie Ihre Doppelmoral. Stellen Sie den Versand von Cyanamid nach Südafrika ein. Hören Sie auf, tödliches Dormex zu produzieren.
Auf dieser Aktionärsversammlung erzählte die Landarbeiterin Dina Ndleleni, dass sie im Juli 2022 mit Dormex vergiftet wurde, während sie für einen südafrikanischen Tafeltraubenhersteller arbeitete. Kannst Du uns ihre Geschichte erzählen?
Kara Mackay: Dina Ndeleni, eine Frau, die ihr ganzes Leben auf Farmen gearbeitet hat, wurde im Juli 2022 bei der Arbeit in einem Weinberg durch das Pestizid Dormex schwer vergiftet. Der Traktor sprühte etwa 15 bis 20 Meter von ihr entfernt. Plötzlich bekam sie die schweren Folgen zu spüren. Sie erlitt Atemnot, Schwindel und verlor das Bewusstsein. Zwei Wochen lag sie im Krankenhaus, erhielt jedoch keine Lohnfortzahlung und keine medizinische Unterstützung vom Landwirt. Aufgrund ihrer anhaltenden gesundheitlichen Probleme ist sie arbeitsunfähig und lebt heute von der Sozialhilfe-Rente. Eine Entschädigung hat sie bis heute nicht erhalten. Dina erzählte ihre Geschichte auf der Hauptversammlung von Alzchem, bei der sie nur auf Deutsch sprechen durfte – obwohl das Produkt international verkauft wird. Die Landarbeiter*innen arbeiten ohne Schutzausrüstung, es gibt keine Ausbildung, es gibt kein fließendes Wasser auf den Farmen. Wir haben ihnen gesagt, dass sie kommen und diese Fälle untersuchen müssen. Die gute Nachricht ist, dass sie offen für dieses Gespräch und für ein Treffen waren. Wir und alle deutschen Partner werden das Thema aufgreifen und sehen, was möglich ist.
In Deutschland wird von der Konzernlobby immer wieder argumentiert, dass die Produktion ohne Pestizide geringer wäre und wir sie deshalb brauchen würden. Wie ist die Situation in Südafrika und wie versucht das WFP, nicht-chemische Methoden des Pflanzenschutzes, zu fördern?
Kara Mackay: Ich denke, zuallererst müssen wir mit der Annahme brechen, dass man in der Lebensmittelproduktion hochgefährliche Pestizide einsetzen muss. In Südafrika ist die Ernährungssicherheit keine Frage der Menge, sondern des Zugangs. Es wird geschätzt, dass wir in Südafrika jedes Jahr 10 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwenden. In einem Land, in dem derzeit 9 Millionen Kinder an Hunger leiden. Das hat mit dem Einkommen der Haushalte und dem Preis der Lebensmittel zu tun. Wenn es dem Minister mit der Ernährungssicherheit wirklich ernst wäre, würde er auf der Preisebene intervenieren und mit den Supermärkten sprechen, um zumindest die Preise für Grundnahrungsmittel zu senken. Das sind die Dinge, die die Ernährungssicherheit verbessern werden, nicht der Einsatz von Pestiziden auf Lebensmitteln. Das Women on Farms Project hat agrarökologische Lebensmittelgärten gefördert. Auf kleinen Flächen werden Frauen darin geschult, wie sie das Land für die Ernährung ihrer Familien nutzen können. Auf der Makroebene sagen wir immer wieder, dass Pestizide überflüssig sind. Seien wir ehrlich, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir uns alle einig sind. Es ist ein veraltetes Konzept. Und wir müssen den Übergang zu einer pestizidfreien Zukunft schaffen. Beginnen wir also damit, die gefährlichsten Pestizide zu ersetzen, bis wir schrittweise davon wegkommen.
Das Interview führte Mireille Remesch und es wurde ins Deutsche übersetzt. Mireille Remesch ist Fachjournalistin (FJS), MSc Agricultural Sciences in the Tropics and Subtropics und arbeitet als Referentin für Agrarpolitik bei der Agrar Koordination. Kara Mackay ist Kampagnenkoordinatorin beim Women on Farms Project.
Dormex und Cyanamid – Gesundheitsrisiken und EU-Zulassungsstop
Dem Wirkstoff Cyanamid, enthalten im Produkt Dormex, wurde 2008 aufgrund von Vergiftungsfällen in Italien EU-weit die Zulassung entzogen. Seit März 2009 ist Dormex in der EU nicht mehr regulär zugelassen.
Wissenschaftlich dokumentierte Gesundheitsrisiken:
- Schwere Hautschäden, auch bei geringen Mengen durch wiederholte Exposition
- Organschäden
- Langzeitwirkungen auf Schilddrüse und ungeborenes Leben
- Einstufung als vermutlich krebserregend und reproduktionstoxisch
Laut EU-Behörde überschreitet die Anwenderexposition den zulässigen Grenzwert (AOEL):
- 60-fache Überschreitung trotz Schutzkleidung
- 14-fache Belastung für Passanten
- Erhöhte Werte selbst in Wohnräumen
Trotz gegenteiliger Aussagen der Hersteller ist Dormex mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden – auch bei sachgemäßem Einsatz.